Sowjetische Militärjustiz in der DDR

Verhandlungsorte des obersten Sowjetischen Militärtribunals in der SBZ/DDR SMT Nr. 48240 mit den 1950-1953 verhängten und später in Moskau vollstreckten Todesurteilen: Berlin-Lichtenberg (87), Chemnitz (Sondergericht SAG Wismut, 26), Dresden (52), Halle/Saale (43), Potsdam (117), Schwerin (73) Weimar (46). Für 452 Fälle konnte der Verurteilungsort bisher nicht ermittelt werden.
Sowjetische Militärjustiz in der DDR
Zum Jahreswechsel 1949/1950 übertrug die Sowjetische Militäradministration neben der Rechtsprechung auch den Strafvollzug auf die Verwaltung der DDR. Dennoch unterhielt die Besatzungsmacht ein paralleles Rechtssystem, das entgegen Artikel 10 der DDR-Verfassung auch deutsche Zivilisten verurteilte. Die bereits seit 1945 in der SBZ tätigen Sowjetischen Militärtribunale (SMT), die eigentlich für sowjetische Soldaten zuständig waren, verhängten noch bis 1955 willkürliche und unverhältnismäßig hohe Strafen gegen Deutsche.
Die SMT-Richter fällten ihre Urteile in den zentralen MGB-Haftanstalten. Die Anklagen wurden von den MGB-Ermittlungsführern vorbereitet, von der Militärstaatsanwaltschaft bestätigt und schließlich ohne rechtsstaatliches Verfahren von den Militärrichtern als Urteil verkündet.
Zwischen 1945 und 1955 fällten die SMT Urteile gegen rund 40.000 deutsche Zivilisten. Fast 3.000 von ihnen wurden zum Tode verurteilt, davon allein über 1.000 in den Jahren 1950 bis 1953. Die meisten Todesurteile wurden bis 1947 in der SBZ vollstreckt. Von 1947 bis 1949 war die Todesstrafe ausgesetzt, nach ihrer Wiedereinführung wurden die Verurteilten in Moskau hingerichtet.
Berlin-Lichtenberg
In den ersten Jahren nach Kriegsende klagten die SMT hauptsächlich Personen wegen Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen bzw. Kriegsverbrechen an, nach der Kontrollratsdirektive Nr. 10, „Ukas 43“ und Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR.
In den 1950er Jahren basierten SMT-Verfahren fast ausschließlich auf dem Artikel 58, der es erlaubte, jeden beliebig als „Feind der sozialistischen Ordnung“ oder als „Spion“ zu verfolgen. Die geheimen Gerichtsverhandlungen wurden auf Russisch geführt und nur teilweise übersetzt. Im Verfahren ließ man weder Entlastungszeugen noch Verteidiger oder Publikum zu, Einsprüche der Angeklagten wurden generell abgelehnt.

Standort des SMT Nr. 48240 und des MGB-Gefängnisses in Berlin-Lichtenberg (blau), erster Dienstsitz des MfS in Berlin-Lichtenberg (rot). Bis zu seiner Auflösung 1990 hatte der ostdeutsche Geheimdienst das gesamte Gelände übernommen und ausgebaut (hellrot).

Amtsgerichtsgefängnis Berlin-Lichtenberg. Von 1945-1952 wurde es vom NKWD/MGB und von 1952/53 bis 1989 vom MfS als Untersuchungshaftanstalt genutzt. Seit 1994 ist dort ein Frauengefängnis untergebracht, 2005.

Sowjetischer Transportzug für Gefangene, in dem auch deutsche Häftlinge nach Moskau verschleppt wurden, 1950er Jahre. / Memorial International, Moskau
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Um „Geständnisse“ zu erpressen, wurden die Gefangenen in den Haftanstalten des MGB/MfS misshandelt. Jede Seite der Verhörprotokolle, abgefasst in russischer
Karl Hartwert Haedicke (1899 – )



Bestätigung über die Verlegung von Karl Hartwert Haedicke am 28. Juli 1951 vom MGB-Gefängnis Dresden nach Berlin-Lichtenberg, Dresden, 1. August 1951.
Der vom MfS ausgestellte Personalausweis von Kurt Knobloch, einem der Entführer von Walter Linse. Nach Linses Verhaftung gab die Stasi Knobloch, den sie zuvor für dieses Verbrechen angeworben hatte, eine neue Identität als „Kurt Müller“. Knobloch wurde jedoch von den westlichen Behörden enttarnt, im März 1953 in West-Berlin verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. / Landesarchiv Berlin
Paul Sieg (1899 – )




Todesurteil gegen Paul Sieg und andere Mitglieder der Widerstandsgruppe um Hans Erdler durch das SMT Nr. 48240 vom 18. April 1951. / Privat
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Um „Geständnisse“ zu erpressen, wurden die Gefangenen in den Haftanstalten des MGB/MfS misshandelt. Jede Seite der Verhörprotokolle, abgefasst in russischer
Art. 58, 1. Als gegenrevolutionär gilt jede Handlung, die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Herrschaft der Räte der Arbeiter und Bauern und der von ihnen aufgrund der Verfassung der Union der SSR und der Verfassungen der Unionsrepubliken gewählten Regierungen der Arbeiter und Bauern der Union der SSR, der Unionsrepubliken und autonomen Republiken oder auf die Unterhöhlung oder die Schwächung der äußeren Sicherheit der Union der SSR und der grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution gerichtet ist.
Kraft der internationalen Solidarität der Interessen aller Werktätigen gelten Handlungen gleicher Art als gegenrevolutionär auch dann, wenn sie gegen einen anderen – der Union der SSR nicht angehörenden – Staat der Werktätigen gerichtet sind. …
Art. 58, 6. Spionage, d. h. Weitergabe, Entwendung oder zwecks Weitergabe vorgenommene Sammlung von Nachrichten, die sich ihrem Inhalt nach als ein besonders schutzwürdiges Staatsgeheimnis darstellen, zugunsten ausländischer Staaten, gegenrevolutionärer Organisationen oder Privatpersonen, zieht nach sich – Freiheitsentziehung nicht unter drei Jahren, verbunden mit völliger oder teilweiser Vermögenskonfiskation; in den Fällen jedoch, in denen die Spionage besonders schwere Nachteile für die Interessen der Union der SSR herbeigeführt hat oder hätte herbeiführen können: Erhöhung bis zur schwersten Maßnahme des sozialen Schutzes – Erschießung oder Erklärung zum Feind der Werktätigen, verbunden mit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit der Unionsrepublik und damit der Staatsangehörigkeit der Union der SSR, dauernder Verweisung aus dem Gebiet der Union der SSR und Vermögenskonfiskation. …
Art. 58, 10. Propaganda oder Agitation, die zu Sturz, Unterhöhlung oder Schwächung der Sowjetherrschaft oder zur Begehung einzelner gegenrevolutionärer Verbrechen (Art. 58,2 bis 58,9 dieses Gesetzbuchs) auffordern, sowie Verbreitung, Herstellung oder Aufbewahrung von Schriften gleichen Inhalts ziehen nach sich – Freiheitsentziehung nicht unter sechs Monaten. Werden die gleichen Handlungen bei Massenaufruhr, unter Ausnutzung religiöser oder nationaler Vorurteile der Massen, während des Krieges oder an Orten, über die der Kriegszustand verhängt ist, begangen, so ziehen sie nach sich – die in Art. 58,2 dieses Gesetzbuchs bezeichneten Maß- nahmen des sozialen Schutzes.
Art. 58, 11. Auf die Vorbereitung oder Begehung der in diesem Kapitel vorgesehenen Verbrechen gerichtete organisatorische Tätigkeit jeglicher Art sowie Teilnahme an einer Organisation, die zur Vorbereitung oder Begehung eines in diesem Kapitel vorgesehnen Verbrechens gebildet worden ist, ziehen nach sich – die den entsprechenden Artikeln dieses Kapitels genannten Maßnahmen des sozialen Schutzes. …